Wir Muslime sind Schweizer Meister, wenn es um Transparenz geht



Stephanie Siegrist und Saïda Keller-Messahli kritisieren die angebliche Obskurität der Schweizer Islamverbände und sprechen sich folglich gegen deren staatliche Anerkennung aus. Auch die SP-interne Gruppe «Integra Universell» stellt sich gegen die Position ihrer Partei zur institutionellen Integration der Muslime über geregelte Beziehungen zum Staat und somit einer Gleichbehandlung mit anderen religiösen Gemeinschaften. Eine Reihe von Missverständnissen und Inkohärenzen in deren Argumentation verleiten mich zu diesem Beitrag.

In der Schweiz gibt es unzählige Verbände in allen möglichen Branchen und Bereichen, zum Beispiel den Verband Schweizer Medien, den Bauernverband, die Schweizerische Bankiervereinigung, um aufs Geratewohl drei grosse zu nennen. Da ich weder in deren Umkreis fungiere noch in irgendeiner Weise den Kontakt zu ihnen gesucht und entsprechende Fragen gestellt habe, sind alle drei für mich «Dunkelkammern». Dies hängt nicht mit der Transparenz dieser Verbände, sondern mit meinem mangelnden Interesse ihnen gegenüber zusammen.
Ich gehe davon aus, dass hier auch der Grund für Stephanie Siegrists Unwissen zu verorten ist. Bei Saïda Keller-Messahli weiss ich, dass sie weder Moscheen besucht noch mit Vereinen oder Verbänden den Kontakt sucht, noch an relevanten Anlässen von Universitäten oder anderen Akteuren teilnimmt. Ihr Forschungsobjekt ist ihr fremd.
Entgegen den Aussagen im Artikel kennen jedoch die entsprechenden Experten sowie die öffentlichen Stellen im Generalfall die Moscheen und Verbände sehr genau, so viel dürfen wir unseren Behörden schon noch zutrauen. So war zum Beispiel der Fall des umstrittenen Bieler Imams den entsprechenden Stellen schon länger bekannt.

An vielen Studien teilgenommen
Die letzten Jahre wurden schweizweit unzählige Studien über und mit der islamischen Gemeinschaft erstellt. Es gab sogar ein mehrjähriges, mit zehn Millionen Franken dotiertes nationales Forschungsprogramm zum Thema «Religionsgemeinschaften, Staat und Gesellschaft». An der Universität Fribourg wurde das Schweizer Zentrum Islam und Gesellschaft gegründet. Von 2009 bis 2011 fand der sogenannte Muslim-Dialog zwischen den Bundesbehörden und Vertretern der islamischen Gemeinschaft Schweiz statt. Persönlich habe ich an zahllosen wissenschaftlichen Studien teilgenommen, etwa über Essgewohnheiten, Finanzierung von Moscheen, Radikalisierung, Herkunft und Ausbildung von Imamen, Grabfelder, Auswahl von Künstlern für islamische Anlässe, Organisation von Verbänden. Meiner Meinung nach gibt es keine religiöse Gemeinschaft in der Schweiz, über die in den letzten Jahren mehr geforscht wurde als über die Muslime: Wir sind Schweizer Meister in Sachen Transparenz. Wenn Siegrist und Keller-Messahli das nicht gemerkt haben, dann wahrscheinlich deshalb, weil ihre Absichten nicht aufklärerischer Natur sind. Die weltanschauliche Nähe von Saïda Keller-Messahli zur AfD oder dem muslimfeindlichen Gatestone Institut ist bekannt.

Gerne unterstütze ich die Ansicht, dass Moscheen und Verbände noch mehr in Sachen Transparenz tun müssen, nicht zuletzt um das Vertrauen der Bevölkerung ihnen gegenüber zu stärken. Wenn sie sich jedoch teilweise zurückhaltend zeigen, hängt dies vorallem mit dem grassierenden anti-muslimischen Rassismus zusammen. Ich verweise dazu auf den Bericht der Tagung «Muslimfeindlichkeit», die von der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus und verschiedenen Schweizer Universitäten im September 2017 durchgeführt wurde. Ein krasser Ausdruck dieses gesamtgesellschaftlichen Problems zeigt sich etwa, wenn Saïda Keller-Messahli in ihrem Buch pauschal und unbegründet, in vielen Fällen sogar klar widerlegbar, Anschuldigungen gegen Vereine und Personen verbreitet, die von fast der gesamten Schweizer Medienlandschaft ungeprüft kolportiert werden, entgegen jeglicher journalistischen Ethik. Als Beispiele lassen sich die Moscheen von Wil, Netstal, Frauenfeld oder Plans-les-Ouates (Genf) anführen, die alle, entgegen den Aussagen von Keller-Messahli, kein Geld aus dem Ausland erhalten haben. Alle vier Moscheen sind bereit, den Medien ihre Bücher zu öffnen. Leider interessieren sich diese aber, in diesem Falle, nur für Anschuldigungen und nicht für die belegbare Gegendarstellung.

Keller-Messahlis Texte über den Islam auf dem Balkan wurden von österreichischen Wissenschaftlern äusserst scharf kritisiert. Dasselbe würde wohl mit den Kapiteln über den Islam in der Schweiz passieren, wenn sich ein seriöser Wissenschaftler oder investigativer Journalist derer annähme. Ich würde jenen, der mindestens die Hälfte der faktisch überprüfbaren Anschuldigungen in dem Buch beweisen und die effektive Problematik der entsprechenden Umstände aufzeigen kann, mit tausend Franken entlohnen.

Vor der Kontrolle angeschuldigt
Die SP-interne Gruppe «Integra Universell» stellt sich gegen die staatliche Anerkennung islamischer Verbände. Analysiert man jedoch die Personen und Positionen, zeigen sich schnell verschiedene Inkohärenzen. Stephanie Siegrist kritisiert, dass «wir» in vielen Fällen nicht wüssten, wer die Mitglieder und Geldgeber seien und welches Gedankengut in den Verbänden vertreten werde. Dies zu klären, darum geht es ja genau bei der Überprüfung für eine allfällige Anerkennung. Die Verbände schon vor dieser Kontrolle anzuschuldigen, scheint mir ziemlich unangemessen.
Viele in der SP wollen die Freiheiten aller verteidigen und religiöse Praktiken, die dem entgegenwirken, nicht zulassen. Jedoch ist die Garantie der verfassungsmässigen Freiheiten ja genau ein Kriterium für eine staatliche Anerkennung. Diese Freiheiten würden also mit einer Anerkennung nicht geschwächt, sondern gestärkt werden. Ein Berner Grossrat stellt sich ebenfalls gegen eine Anerkennung, hat aber Anfang 2018 selber im Berner Grossen Rat eine staatliche Anerkennung über eine «Charta der Religionen» durchgebracht.

Ich kann mich dem Gefühl nicht erwehren, dass gewisse Grundprinzipien der staatlichen Anerkennung den Mitgliedern der Gruppe «Integra Universell» nicht genügend bekannt sind. Ausserdem scheint es ihnen in Wirklichkeit um etwas anderes zu gehen, nämlich um eine über die gängige Schweizer Praxis hinaus stark ausgeprägte Laizität als politische Grundhaltung. Man möchte am liebsten gar keine religiösen Gemeinschaften anerkannt wissen. Diese Haltung ist natürlich legitim, der Transparenz zuliebe wäre es jedoch angemessen, dies auch entsprechend zu deklarieren, um zu verhindern, dass die islamische Gemeinschaft der Schweiz es fälschlicherweise als gegen sie und die Gleichberechtigung gerichtet versteht.

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